Investieren wir in den Bestand! Warum Abriss nicht (mehr) infrage kommt
Donnerstag, 16. Mai 2024 | Online Event
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache?!
Über 37 % der CO2-Emissionen und 60 % des Ressourcenverbrauchs weltweit gehen auf das Konto der Bau- und Immobilienindustrie. In Deutschland entstehen jährlich 230 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle, was gut 55 Prozent des gesamten Abfalls ausmacht. Um dem Green Deal und der „Circular Economy“-Strategie der EU gerecht zu werden, sind der Erhalt von Bestand und die Implementierung von CO2 als Wirtschaftsfaktor in der Branche essenziell.
Mit dieser wirtschaftlichen Aufwertung von Bestandsgebäuden wird ein wichtiger Schritt in Richtung Klimaschutz in der Bau- und Immobilienbranche gesetzt. Durch die Vermeidung von Abbruch werden der Verbrauch von Ressourcen und damit Emissionen durch die Materialherstellung deutlich verringert, während die Lebensdauer von Gebäuden verlängert wird.
Durch ebendiese ESG-Anforderungen steigt auch die wirtschaftliche Attraktivität der Transformation von Warenhausimmobilien gegenüber Abriss und Neubau. Und die Umnutzung großvolumiger Gebäude hat enormes Potential: Nutzungen wie Wohnen, Büro, Hotel, Gastronomie, Freizeit, Bildung, Kultur, Health/Sport und natürlich alternative Retailkonzepte bieten eine Fülle neuer Möglichkeiten für leerstehende Warenhäuser.
Die Chancen für eine erfolgreiche Revitalisierung sind dann am besten, wenn eine intensive Einbeziehung des städtischen Umfeldes und der Stakeholder durchgeführt wird. Gesamtheitliche Konzepte sollen neue wirtschaftliche, urbane und gesellschaftliche Chancen aufzeigen und realisieren. Damit diese Immobilien in zentraler Lage wieder die Stadt als Bühne inszenieren und dazu beitragen, dass die Menschen ins Zentrum kommen.
Welche Chancen bietet die neue Regulatorik? Das Statistische Bundesamt geht von ca. 14.000 Gebäudeabrissen pro Jahr aus, die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. Ist Bauen im Bestand nur eine Nische bzw. wie wird die Kür zur Pflicht?
Event-Zusammenfassung (KI)
Transformation und Herausforderungen im Bauwesen: Nachhaltigkeit und Bestand im Fokus
Auf der Fachveranstaltung "Investieren wir in den Bestand! Warum Abriss nicht (mehr) infrage kommt" diskutierten renommierte Experten der Architektur- und Bauindustrie über die multiplen Herausforderungen und Potenziale der Bestandsbauweise sowie über die notwendigen regulatorischen Anpassungen zur Förderung einer nachhaltigeren Baupraxis. Unter den Teilnehmern waren Professorin Tatjana Sabljo von der Hochschule Hannover, Michael Haugeneder, Geschäftsführer bei ATP System, und Timm Sassen von der Grafit-Gruppe. Der ideenreiche Austausch offenbarte Wege zur Optimierung bestehender Strukturen, die nicht nur ökologischen und ökonomischen, sondern auch regulatorischen Anforderungen gerecht werden.
Regulatorische Rahmenbedingungen und neue Möglichkeiten
Eine zentrale Diskussionsthematik war die Überarbeitung der bestehenden Landesbauordnungen, um Hürden bei Um- und Ausbauprojekten im Bestand zu reduzieren. Professorin Tatjana Sabljo stellte neue Ansätze in Niedersachsen vor, bei denen der Paragraph 85a eine zentrale Rolle spielt. Dieser könnte den Genehmigungsprozess durch Einführung von Mitteilungsverfahren erheblich vereinfachen und so den Aufwand und die erforderlichen Ressourcen reduzieren. "Ein Bauteil muss nicht mehr können als vorher", resümierte Sabljo, womit eine Vision beschrieben wird, die Bürokratie abbaut und Prozesse effizienter gestaltet.
In Nordrhein-Westfalen wurde durch Timm Sassen der Paragraph 69 hervorgehoben, der Bauherren erweiterte Planungsfreiheiten und Vertrauen bezüglich ihrer Projekte einräumt. Solche regulatorischen Erleichterungen sind essenziell, um die Transformation der Bauindustrie voranzutreiben und nachhaltige bestehende Gebäudenutzung zu fördern.
Fokus auf graue Emissionen und Nachhaltigkeit
Michael Haugeneder richtete den Fokus der Diskussion auf die bisher unterrepräsentierten grauen Emissionen, die einen enormen Einfluss auf die Umweltbilanz von Gebäuden haben. Im Gegensatz zur kurzfristig betrachteten Reduzierung von Betriebsemissionen durch Energiesparmaßnahmen, bleibt der volle Lebenszyklus eines Gebäudes oft außer Acht. Das erfordert, wie Haugeneder betonte, eine Neudefinition von Nachhaltigkeitszielen innerhalb der bestehenden Regulatorien auf EU-Ebene: "Wir brauchen einen CO₂-Ausweis, keinen herkömmlichen Energieausweis." Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Richtlinien zu entwickeln, die tatsächlich zur CO₂-Reduktion beitragen.
Wiederverwendung und Transformation von Bestandsgebäuden
Professor Sabljo wies auf die oftmals ungenutzten Möglichkeiten hin, die im Bestand vorhanden sind, und motivierte zur Umnutzung und Neudefinition von Architekturräumen. Die Integration alter in neue Strukturen erfordere ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit, kreativer Bauintelligenz und Planungsgeschick. Solche Transformationsprozesse bieten erhebliche Potenziale zur städtischen Entwicklung und wirtschaftlichen Stabilität. "Der Umbau ist oft kosteneffizienter, da bereits eine strukturelle Substanz vorhanden ist", führte Sabljo aus.
Innovationen in der Baustoffindustrie
Ein weiteres Problemfeld stellt die Verfügbarkeit geeigneter Baustoffe dar, die für die Anforderungen im Bestandsbau optimiert sind. Haugeneder betonte, dass die aktuelle Materialwissenschaft primär für den Neubau ausgelegt ist und bei Altbau-Anforderungen oft versagt. Die Entwicklung spezialisierter Materialien und Lowtech-Lösungen könnte die Lebenszyklen von Gebäuden verlängern und deren ökologische Belastung erheblich reduzieren. „Die Industrie muss uns Lösungen liefern, keine Verbundmaterialien, lösbare Verbindungen“, forderte Haugeneder.
Nachhaltige Transformationsförderung
Einigkeit bestand bei allen Referenten hinsichtlich der Notwendigkeit von Anreizen, um eine nachhaltige Transformation im Bauwesen zu fördern. Die Einführung steuerlicher Erleichterungen und die Schaffung finanzpolitischer Anreize könnten Investitionen in CO₂-arme Bauweisen fördern. Eine als besonders vielversprechend diskutierte Idee bestand darin, Banken durch günstigere Refinanzierungssätze für Investitionen in die CO₂-Reduktion zu belohnen. „Das ist die beste Subvention, die wir haben können“, erklärte Sassen.
Schlussfolgerungen und der Weg nach vorn
Das Webinar "Investieren wir in den Bestand! Warum Abriss nicht (mehr) infrage kommt" verdeutlichte eindrucksvoll, dass die Bauwirtschaft nicht nur ein zentraler Treiber des Klimaschutzes ist, sondern auch bedeutende wirtschaftliche Chancen birgt. Die umfassende Umstrukturierung der Baupraxis, die graue Energie und Bestandserhaltung gleichermaßen umfasst, weist den Weg zu einer widerstandsfähigeren Industrie.
Der Fortschritt in der Transformation der Bauwirtschaft hin zur Kreislaufwirtschaft kann nicht nur zur Erreichung von Klimaschutzzielen beitragen, sondern darüber hinaus die Stabilität der europäischen Wirtschaft fördern. Es bleibt entscheidend, dass gesetzgeberische Maßnahmen und innovative Lösungen Hand in Hand gehen, um eine nachhaltige Zukunft im Bauen zu sichern.
Damit erweist sich der Dialog in der Veranstaltung "Investieren wir in den Bestand! Warum Abriss nicht (mehr) infrage kommt" als wertvoller Beitrag zur Weiterentwicklung der Bauindustrie und zur Förderung einer grüneren, ressourcenschonenderen Praxis im Bauwesen.
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